Präsenzlehre? - Ja bitte. Aber nicht um jeden Preis!

Mit großer Freude, aber auch ebenso großer Verwunderung und Besorgnis, nahmen wir Anfang September die Öffnungspläne der Universitätsleitung wahr.
 
Vorweg soll gesagt sein, dass auch wir als AStA uns wieder über Normalität, über Präsenzlehre und über Leben an den Standorten der Universität freuen.
So sehen wir aber auch die eklatanten Mängel in entscheidenen Fragen: So ist es uns zuvorderst besonders wichtig, dass jede*r Studierende Planungsicherheit über die unmittelbare "Sichtweite" hinaus hat. Zweitens, dass jede*r Studierende die Sicherheit bekommt trotz eventueller Quarantäne gut studieren zu können. Und drittens fordern wir, dass die Universitätsleitung durchdachte BackUp-Pläne für die Eventualität eines erneuten Lockdowns parat hat.
Eine grundsätzliche Durchführung aller Veranstaltungen in hybrider Form, bei der die Studierenden die Art ihrer Teilnahme frei wählen können, wäre das richtige Rüstzeug für den Fall der Fälle aber auch eine sichere Alternative für diejenigen, die sich trotz Impfung bzw. 3G nicht sicher in der Uni fühlen, wenn Räume - die nicht selten vor Corona schon als eng und stickig empfunden wurden - bis zu 100% belegt sind
 
Nachfolgend möchten wir unsere zentralen Kritikpunkte, die wir zu einem großen Teil zuvor im direkten Austausch mit dem Präsidium versuchten zu klären, näher erläutern. Wir möchten damit niemanden verunsichern. Da es jedoch derart offensichtlich ist, dass die Unileitung nur bereit ist das Mindestmaß zu erfüllen und im Zweifelsfall den Ball nach oben an die Politik oder gar nach unten an die individuellen Lehrenden spielt, sehen wir uns gezwungen auf die potenziellen Probleme hinzuweisen. Wir hoffen, dass niemand oder nur wenige davon betroffen sein werden. Falls es jedoch aufgrund dieser Kurzsichtigkeit zu chaotischen Zuständen kommt, machen wir die Unileitung dafür verantwortlich. Sollte dieses "Übergangssemester" scheitern, soll niemand sagen können: "Wer hätte das geahnt".
 
Kurzfristigkeit/Planbarkeit:
Eines der größten Probleme sehen wir in der Unklarheit über die Art der Durchführung einzelner Veranstaltungen. Die Uni-Leitung formuliert dies maximal unklar: „digitale Lehrveranstaltungen dürfen weiterhin angeboten werden und Präsenzveranstaltungen müssen nicht zwingend digitale Zusatzformate enthalten“1 In den meisten Fällen ist derzeit weder über die Beschreibungen in StudIP noch über die Internetseiten der einzelnen Fachbereiche oder Institute ersichtlich, worauf die Studierenden sich genau einstellen müssen. Die schlechte Prognostizierbarkeit einer Pandemie ist uns dabei durchaus bewusst und die meisten von uns mussten in den letzten 1,5 Jahren lernen flexibel zu sein und oder sich schlicht in Geduld üben. Die Verantwortung als „Autonomie“ den Dozierenden zu überlassen und konkrete Entscheidungen zum Format und Ablauf einzelner Veranstaltungen unter diesen Bedingungen voraussichtlich erst ab Ende September zu kommunizieren, scheint uns keine angemessene Lösung zu sein: De facto wissen die Studierenden frühestens drei Wochen vor Semesterbeginn ob ihre physische Anwesenheit überhaupt erwartet wird oder nicht.
 
3G als Patentlösung?
Die Sicherheit der Studierenden soll über die 3G-Regel gewährleistet werden. Mittlerweile dürfte allen klar sein, was das heißt: Die Personen, welche die Unigebäude und Veranstaltungsräume betreten, sind geimpft, genesen oder getestet. Bei einem Restaurantbesuch beispielweise kann an dem einen Eingang das sowieso vorhandene Personal diese Einlasskriterien überprüfen – und schon hier lässt sich häufig beobachten, dass dies eher schlecht als recht umgesetzt wird. „Bei der Überprüfung der Drei-G-Regel setzt die Universität soweit wie möglich auf Vertrauen in die Studierenden“.2 Darüber hinaus heißt es bei der Unileitung aber auch: „Überprüfungen der Einhaltung der „Drei-G-Regel“ werden stichprobenartig, z.B. an den Eingängen zu Lehrveranstaltungen erfolgen. Lehrende sind berechtigt, den „Drei-G-Status“ abzufragen; insbesondere, wenn die Raumverhältnisse als beengt wahrgenommen werden.“2 Wir stellen uns dabei jedoch die Frage, wie die Dozierenden selbst bei einer 10%igen Stichprobe vor Beginn einer Veranstaltung mit bis zu 199 Personen mal eben diese Sicherheit gewährleisten wollen, ohne dabei wertvolle Zeit der eigentlichen Lehrveranstaltung zu verlieren. Natürlich möchten wir nicht für mehr externes Wachpersonal auf den Fluren und in den Veranstaltungsräumen plädieren, die diese Aufgabe übernehmen und die Unileitung hat dazu auch bereits verlauten lassen, dass man dazu gar keine Kapazitäten habe.
Aber es bleibt die Frage: Reicht dieses Vertrauen untereinander, insbesondere wenn Studierende in Ermangelung eines generellen Hybrid-Angebotes gezwungen sind, vor Ort zu sein und tägliche Tests für Ungeimpfte in absehbarer Zeit sehr teuer werden? Es wundert uns nicht, dass wir als AStA offensichtlich eher die Adresse für besorgte Studierende sind und uns schon deshalb gezwungen sehen, deren Sorgen als deren Vertreter*innen zu artikulieren. Im direkten Schriftverkehr zwischen uns und der Präsidentin ist ihrerseits die Rede von „der überwältigenden Anzahl positiver Rückmeldungen (und einer nur einzigen kritischen Rückmeldung bisher)“. Bei allem Optimismus und unserem eigenen Wunsch nach einem „normalen“ Uni-Alltag, muss dieses auf Vertrauen basierende Sicherheits-/Hygienekonzept kritisch hinterfragt werden.
 
Teilnehmer*innen Begrenzung
Das Präsidium hat angekündigt, Veranstaltungen ab 200 Teilnehmenden verpflichtend als Digitalveranstaltungen anzubieten. Wir können nicht nachvollziehen wie diese Teilnehmer*innenbegrenzung zustande gekommen ist und auf welcher Grundlage diese Entscheidung beruht. Wir halten die Anzahl von 200 Personen in einem Vorlesungraum für deutlich zu viel, wenn aufgrund der 3-G Regelung der Mindestabstand mit Maske unterschritten werden kann. So viele Personen in einem Raum sind ein unnötig großes Infektionsrisiko, vor allem weil sich das Format Vorlesung ideal für digitale Durchführung eignet. Praktische oder diskursive Anteile wie in Seminaren, Tutorien oder Laborübungen, die besser in Präsenz funktionieren, sind in Vorlesungen nicht vorgesehen. Ein weiterer Vorteil von digitaler Durchführung von Vorlesungen (auch <200) wären die gesparten Raumkapazitäten, die dann anderweitig für die sicherere Durchführung von Seminaren genutzt werden könnten. Sinnvoll wären wenige große Veranstaltungen digital, auch um mehr Raum für viele kleine Veranstaltungen in Präsenz zu haben.
 
Wohnraum
Die so kurzfristig angekündigte Wiederaufnahme von Präsenzveranstaltungen stellt die Studierenden zum Teil auch vor ein räumliches Problem. Einige sind seit Beginn der Pandemie umgezogen. Zurück in ihre Heimat, zu ihren Eltern oder anderen Bezugspersonen. Gründe dafür sind unter anderem fehlende soziale Kontakte in Osnabrück, bedingt durch Schließung der Uni, fehlende Sport- und Freizeitangebote und generelle Kontaktbeschränkungen. 
Da sich die Pandemie nun schon über mehr als drei Semester zieht, ist es auch dazu gekommen, dass Studierende erst garnicht nach Osnabrück gezogen sind, um sich nicht in eine derart belastende Situation zu bringen. Bedingt durch die digitale Lehre, war diese Entscheidung glücklicherweise möglich. 
Nun müssen sich Teile von bis zu drei Semestern von extern Studierenden und zusätzlich auch noch ein neuer Jahrgang Erstis um den knappen Wohnraum bemühen, sei es in Wohngemeinschaften, Studierendenwohnheimen oder eigenen Wohnungen. Und das alles bis Mitte Oktober! Osnabrück ist zwar nicht Berlin, Hamburg oder München aber wer hier schon die Erfahrung gemacht hat, eine passende Wohnung finden zu müssen, weiß, dass es auch in Osnabrück alles andere als ein üppiges und vor allem bezahlbares Wohnraumangebot gibt. 
Um diesem Dilemma vorzubeugen oder wenigstens entgegen zu kommen, hätte das Präsidium seine Entscheidung für Präsenzlehre deutlich eher treffen und vor allem angemessen kommunizieren müssen. 
Stattdessen wurden Aussagen in Coronarunden der Universität getätigt, dass die Studierenden doch ihre Kommiliton*innen darauf ansprechen sollten, nach Osnabrück zu ziehen. Solch ein diletantischer Umgang mit der aktuellen Situation, wird einem Universitätspräsidium, welches Verantwortung für etwa 14.000 Studierende trägt, alles andere als gerecht! 

 

Kommunikation (Vorlesungszeit auf Samstags ausweiten, Quarantäne):
Die Kommunikation des Präsidiums, so unser Eindruck, richtet sich offenkundig die letzten Tage eher nach dem Motto: Manchmal muss man sich auch selber Konfetti in das Leben werfen (als Anspielung auf das für einige Tage nach Veröffentlichung der Öffnungspläne eingeblendete Konfetti auf der Startseite der UOS).
Ernsthafte Problematiken beziehungsweise tiefgreifende Änderungen für die Studierenden werden einfach systematisch, gegenüber der Euphorie über die Rückkehr zur Teilnormalität, vernachlässigt. Zwei Probleme möchten wir an dieser Stelle addressieren:
Erstens wurde bisher noch kein Konzept eingereicht, welches sich systematisch mit dem - erwartbaren - Fall der Quarantäne von Studierenden beschäftigt. Stets wird bisher das berühmte Mantra der "Einzelfalllösung" bedient, anstatt für Verbindlichkeit und Einheitlichkeit zu sorgen. Wird es für diesen Fall hydride Lösungsansätze geben? Oder sollen stumpf schriftliche Ersatzleistungen eingefordert werden? Für uns ist klar: Der Versuch "gutes Studieren" zu ermöglichen, sieht anders aus!
Zweitens wurde in einem Meeting zwischen AStA und Vizepräsidentin für Studium und Lehre mitgeteilt, dass die Veranstaltungszeiten von montags bis einschließlich samstags ausgeweitet werden können, um den Erfordernissen an die Kapazitäten, unter den aktuellen Vorstellungen gerecht zu werden. So wird stillschweigend wichtige Zeit der Studierenden für verdiente Erholung oder notwendige Lohnarbeit angegriffen. Wo wird dies in den freudigen Mitteilungen an die Studierenden kommuniziert? Bei uns entsteht immer mehr der Eindruck, dass sich die Universitätsleitung scheut, Schattenseiten der Präsenzlehre offen anzugehen, um den angeblich einheitlichen Kanon zur Befürwortung der Präsenzlehre nicht in Gefahr zu bringen.
 
Uns bleibt zu hoffen, dass sich die genannten Sorgen nicht oder nur selten bewahrheiten werden und alle Studierenden ein gutes und sicheres Wintersemester erleben können. Wenn ihr weitere Probleme seht oder euch von der Uni benachteiligt fühlt, wendet euch jederzeit an die Unileitung aber natürlich auch gerne an uns. 
 
Euer AStA