Markard

Hochbegabtenförderung = Elitenproduktion?

Die Rolle der Psychologie

Als Peter Gaethgens, Ex-Präsident der FU Berlin, vor acht Jahren in seiner Funktion als Leiter der Hochschulrektorenkonferenz, gefragt wurde, woran er eine Elite- bzw. „einen zukünftigen Spitzenstudenten“ erkenne, antwortete er: „Daran, dass er ein ziemlich klares Konzept von seiner universitären Ausbildung und seiner Berufsorientierung hat und gut informiert ist über die Universitäten, an denen sein Wunschfach angeboten wird. Und er sollte die Wahl des Fachs gut auf seine eigenen Talente abgestimmt haben.“ Nach dieser Eignungsdiagnose ist der Spitzenstudent mit sich schon fertig, bevor er überhaupt angefangen hat. Ein Studium verunsichert ihn nicht, er orientiert sich nicht um, er entwickelt sich nicht. Er greift nicht in das Hochschulgeschehen ein, er sucht sich die Hochschule nur aus. Und er hat Talente oder Begabungen, die zu einem historisch vorfindlichen Fach passen wie der Pott zum Deckel (zum Beispiel eine Geologie , Urologie- oder Kleintierveterinär-Begabung). Zusammengefasst ist der Spitzenstudent erstens männlich und zweitens der Prototyp des angepasste Strebers. Die Bedeutung des Elitekonzepts liegt weniger darin, dass damit soziale Gruppierungen sinnvoll bestimmt werden könnten, vielmehr hat die (selbstreferenzielle) Rede von „Eliten“ eine gesellschaftspolitische Funktion, die deutlich wird, wenn der Gegenbegriff, die „Masse“, mitgedacht wird. War schon die Entstehung der Soziologie generell eine konservative Antwort auf den Sozialismus als Bewegung, dies gilt allemal für die Entstehung einer dezidierten „Massenpsychologie“, die die Auf- und Widerständigkeit der „Massen“ zu irrationalisieren und zu pathologisieren hat. (Hoch-) Begabung ist das psychologische Pendant zum soziologischen Elitekonzept. Begabung ist nicht beobachtbar, sondern ein Konzept zur Interpretation beobachtbarer Leistungen. Das Zirkuläre dieser Denkfigur liegt darin, dass von Leistung unvermittelt auf Begabung geschlossen wird, diese aber als Ursache der Leistung herhalten soll. Das Problem ähnelt dem, beobachtbare Unterschiede von Männern und Frauen auf deren Natur zurückzuführen. Im Postulieren von Begabungsunterschieden als Ursachen von Leistungsunterschieden wird die konkreter formulierbare Frage nach der Aufhellung gesellschaftlicher Bedingungen von Unterschieden entwichtigt. Da die Chancen und Möglichkeiten der Individuen klassen , geschlechts- und ethnienspezifisch tangiert sind, ist weder wissenschaftlich gleichwertig noch gesellschaftlich gleichgültig, welche Forschungsfrage psychologisch gestellt und in welcher Perspektive verfolgt wird. Das Begabungskonzept eignet sich dazu, gesellschaftliche Beschränkungen in subjektive Beschränktheit umzudeuten, es ist insofern nicht nur naturalisierend, sondern auch personalisierend. Welche Rolle die Psychologie in diesen Zusammenhängen spielt, hängt davon ab, wie sie sich zu den genannten Problemen verhält.?

Donnerstag, den 31.05.
um 16 Uhr im ehemaligen Senatssitzungssaal (15/130)
Eintritt frei